Oliver Heinrich nach seinem Zuhause zu fragen, ist schwierig. Irgendwie ist es ganz Deutschland, vielleicht Bremen, vielleicht Westfalen, vielleicht aber auch Görlitz. Der 39-Jährige hat sein ganzes Berufsleben “auf dem Sprung” verbracht, hat mal anderthalb, mal drei Jahre in Bielefeld, Karslruhe, Essen, Walsrode, München, Bremen, Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf gelebt und gearbeitet. Die Werbebranche, noch dazu die der digitalen Welt, ist schnelllebig und wechselhaft. “Am liebsten bin ich irgendwohin gekommen, um dort die bestehenden Strukturen zu prüfen und zu optimieren, und dann bin ich weitergezogen”, sagt Oliver Heinrich.
Liste großer Namen
So wie er aus seinen Erfahrungen berichtet, ist es ihm im Laufe der Zeit offenbar gelungen, sich einen Namen in der Branche zu machen. Als ausgebildeter Mediengestalter war er erst Junior Art Direcor, dann Senior Art Director, schließlich Creative Director und Teilhaber. Etliche Werbeideen für große Namen wie Audi, Ehrmann, L’Oreal, Pharmakonzerne, Zigarettenhersteller, Beck’s, Schwarzkopf, Vodafone, McDonald’s oder WWF sind in all den Jahren entstanden. Oliver Heinrich spricht von Jobangeboten in immer höheren Dimensionen und als Chef immer größerer Teams, als ob das völlig alltäglich sei.
Und so einer ist jetzt in Görlitz. Erst vor rund zwei Wochen hat er seine Agentur “Rocketman and Bear” am Klosterplatz eröffnet. Dort, wo früher das Café CaRe war. Und wo es eine ältere Dame noch immer vermutet hat. Wie selbstverständlich kam sie ins Büro, stutzte nur kurz angesichts der neuen viel dunkleren Einrichtung, setzte sich an einen Tisch neben einem Aquarium und wollte ihren Kaffee bestellen. Oliver Heinrich amüsieren solche Begegnungen. “Ich finde es schön, wenn sich die Menschen interessieren und einfach mal reinschauen.” Seine Tür stehe immer offen.
Holzkisten als Regale
Dass Oliver Heinrich anders denkt und anders gestaltet, sieht man schon an seinem Büro. Als Garderobe dienen Karabiner unter einem Brett, Holzkisten sind Regale, und der Besucher balanciert seine Kaffeetasse auf einer Baumstammscheibe mit drei Beinen als Tisch. Stimmig wirkt das alles, ideenreich, kreativ eben. Es passt.
Wo Oliver Heinrich sitzt und arbeitet, bestimmt eine weiße Wand den ganzen Raum, auf die Zeichnungen und Skizzen gemalt sind, Notizen, Gedanken. “Diese Wand soll noch voller werden. Immer wenn mir etwas einfällt, füge ich es hinzu. Oder wenn ich telefoniere.” Berufliche Ideen sind dort, Schlagworte für Werber, auch Privates wie ominöse Daten, bei deren Nachfrage Oliver Heinrich nur vielsagend grinst.
Dass ausgerechnet Görlitz seine nächste Station geworden ist, liegt an seinen Eltern. Diese sind vor fünf Jahren aus Westfalen, wo Oliver Heinrich aufgewachsen ist, an die Neiße gekommen. Die Mutter betreibt ein kleines Geschäft in der Altstadt. Und beide haben ihrem Sohn nahegelegt, es doch mit der Selbständigkeit in Görlitz zu versuchen, nachdem seine neue Idee am letzten Arbeitsort in Düsseldorf nicht so aufgegriffen wurde wie erhofft. “Es geht mir um die direkte Verbraucheransprache. Um herauszufinden, was man als Marke digital tun muss, um den Kunden an sich zu binden.” Strategien dafür könne er auch als Selbständiger entwickeln.
Alles ein bisschen, aber nichts richtig
Darüber hinaus hat er erste Gespräche auch schon in Görlitz geführt, nachdem er im vergangenen Sommer immer wieder “zum Schnuppern” in der Stadt war. Dabei hat Oliver Heinrich gemerkt, dass manche Unternehmen viel Geld ausgeben, um alles ein bisschen, aber nichts richtig zu machen, wie er sagt. Facebookauftritt, Onlineshop, Werbematerial aus Papier, alles da, aber alles nicht konsequent. Dort möchte er ansetzen. “Du musst nicht Generalist sein, sondern Spezialist” ist sein Credo. Auch für den Tourismus in der Stadt hat er schon Ideen. Ein konkretes Projekt läuft mit der Agentur “Reiseziel Polen” in der Görlitzer Altstadt, der Heinrich helfen will, sich mit Gruppenevents für Unternehmen zusätzlich zu spezialisieren. Ohne zuviel zu verraten: Es hat mit Sand der polnischen Ostsee und Birkenrinde zu tun.
Seine Pläne spiegeln sich im Namen der neuen Agentur “Rocketman and Bear” wider: “Raketenmann und Bär”. Ersterer als einer mit Ideen, der die Zukunft kennt. “Manche Dinge aus den Großstädten, in denen ich gelebt habe, müssen sich hier noch entwickeln.” Und der Bär mit seiner Charakteristik, eher der Leise und Beobachtende zu sein und dabei doch stark und erfolgreich. “Wie ein Bär bei der Lachsjagd.” Für diese Agentur hat Heinrich zwei Mitarbeiter, einen in Düsseldorf, einen in Hannover. Wachstum nicht ausgeschlossen.
Vielleicht endlich am Ziel
Hat der umtriebige Werbeexperte jetzt seinen “Alterssitz” in Görlitz gefunden? Könnte sein, sagt Oliver Heinrich. Zumindest sei der Plan nicht, spätestens nach drei Jahren weiter zu ziehen. Tatsächlich sei es so, dass er in den vergangen Jahren in seinen Kreativteams kaum mit Menschen zusammengearbeitet habe, die älter als 45 Jahre waren. “Die Werbebranche verlangt dir viel ab, sie vereinnahmt dich total.” Er erzählt von Nächten voller Arbeit, tagelang, rauchende Köpfe, mit Pizza und Schlafsack im Büro. Spaß habe das gemacht.
Aber es sind wohl auch Dinge, die man in den 20ern und 30ern mag, mit fast 40 nicht mehr so sehr. Oliver Heinrich hat zwei kleine Kinder, die in Bremen leben. Dass er trotzdem in Görlitz Fuß fassen will, liegt sowohl an familiären Gründen als auch an seiner Verliebtheit in die Stadt. “Das Ambiente von Görlitz ist einmalig. Die Menschen sind sehr unkompliziert und freundlich, das habe ich längst nicht überall so erlebt.” Und er genießt auch das Freiheitsgefühl, das Durchatmen, nicht das Zusammengepferchtsein mit Dutzenden Anderen in Bus oder U-Bahn jeden Tag. “Es ist schon so etwas wie eine Lebensentscheidung, hierher zu kommen.”
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