
Manche schwören ja darauf: Die besten Ideen entstehen beim entspannten Schwatz mit anderen Menschen, am Stammtisch gar. Vielleicht klingt es anfangs verrückt, von Spinnern erdacht – und wird später ein ganz großer Wurf. Wie auch immer, Norbert Rost möchte es probieren. Der 46-Jährige ist derzeit als Teilnehmer des Projekts „Stadt der Zukunft auf Probe“ in Görlitz und möchte nächste Woche eine „Zukunftsspinnerei“ durchführen. Der Dienstag soll ein Abend werden für Menschen, die sich über das Görlitz von morgen austauschen wollen. Im KommWohnen-Saal sollen sich alle Interessierten am 12. Juli um 16.45 Uhr treffen und darüber reden, wie das Görlitz von 2030 oder 2040 aussehen könnte. Norbert Rost sieht sich dabei als eine Art Hebamme. „Ich mach das Kind nicht, ich zieh es nicht groß, ich helfe ihm nur auf die Welt. Die Bürger haben Ahnung, nicht ich.“
Erfahrungen mit und aus Dresden
Und es ist nicht so, dass Norbert Rost damit keine Erfahrung hätte. Er war Projektleiter, als Dresden am Zukunftsstadt-Städtewettbewerb teilgenommen hat und konnte die Stadt bis ins Finale führen. Auch damals gab es Bürgerforen, gemeinsames Finden und Umsetzen von Ideen. Und es war eine Lehre, wie Bürgerbeteiligung wirklich funktionieren kann, sagt Rost. Eine autofreie Dresdner Neustadt war ein solches Projekt. So weit weg ist das ja gar nicht von Ideen für Görlitz. Auch hier wird eine autofreie Innen- und Altstadt seit Jahren diskutiert. Zu Recht: Norbert Rost ist dieses Problem schon nach wenigen Tagen in Görlitz aufgefallen. „Diese so schöne Altstadt steht voller Blech. Das Areal würde ohne Autos ganz anders wirken. Und es wäre beispielhaft für viele andere Städte.“
Doch das ist nur ein Beispiel. Viel lieber möchte er die Ideen der Görlitzer hören. Nicht ums Meckern soll es am Dienstag gehen, sondern ums Positive. „Um die Chancen. Wie stellen sich die Görlitzer ihre Stadt in acht oder zehn Jahren vor?“ Oberbürgermeister Octavian Ursu hat das Ziel ausgegeben, dass Görlitz bis 2030 klimaneutral sein soll. „Wie konkret könnte das aussehen? Wo sind Photovoltaikanlagen? Wie funktioniert der ÖPNV? Wie läuft die Energieerzeugung? Und so weiter.“
Von der Idee zum Projekt
Aus den Ideen sollen Projekte entstehen. Alles im Sinne von Görlitz, so wie es die Zielsetzung des aktuellen Probewohn-Durchgangs ist. Und wer weiß, vielleicht bleibt Norbert Rost noch länger in der Stadt. Er lebt zwar seit rund 30 Jahren in Dresden, stammt aber aus der Lausitz. Spremberg und Hoyerswerda waren Stationen, auch Freundesbesuche in Görlitz stehen seit vielen Jahren immer wieder auf dem Plan. Und nun eben „Stadt auf Probe“, um Visionen für ein nachhaltiges Görlitz zu entwickeln. „Es soll eine Denkwerkstatt sein. Ich bringe Arbeitsmaterialien aus Dresden mit, die sich dort bewährt haben.“ So könne man gemeinsam bestimmt etwas Schönes schaffen. „Ich freue mich auf einen interessanten Abend!“
Zukunftsspinnerei Görlitz, 12. Juli 2022, 16.45-20.00 Uhr, Saal von KommWohnen, Konsulstr. 65 in Görlitz, Infos und Anmeldung hier
Update 8. Juli: Hier ist ein kurzes Videointerview mit Norbert Rost und KommWohnen-Medienreferentin Jenny Thümmler.
Visionsentwicklung Teil 2 Ende Juli
Update 13. Juli: Hier ist ein Bericht vom Zukunftsspinnereiabend aus der Feder von Norbert Rost:
20 Görlitzerinnen und Görlitzer fanden sich zu einer „Zukunftsspinnerei“ auf Einladung des „Stadt der Zukunft auf Probe“-Bewohners Norbert Rost und zahlreicher Mitveranstalter im Saal der KommWohnen ein: sie wollten über die Zukunft von Görlitz in anderer Form nachdenken. Dafür hatte Norbert Rost seine Erfahrungen aus der Projektleitung der „Zukunftsstadt Dresden“ mitgebracht.
Die Themen, die anfänglich im Raum standen, waren vielfältig: der Tourismus am Berzdorfer See, die Anpassung der Stadt an den Klimawandel, die Rolle der Stadt im globalen Zusammenspiel, die Versorgung aus dem Umland oder die Entwicklung von Arbeitsplätzen wurden aufgerufen. Letztlich wurde in drei Gruppen gearbeitet, von denen die eine die Frage der Mobilität in der Stadt thematisierte und eine Vision „Görlitz: bunt bewegt!!!“ entwickelte. Eine zweite Gruppe diskutierte die Frage, wie das Verwaltungshandeln sich noch stärker an der Nachhaltigkeit ausrichten sollte und entwarf eine Stadtverwaltung der Zukunft. Die dritte Gruppe kam von der Frage her, dass in der Entwicklung der Stadt profitieren könnte, wenn auch oft ungehörte Gruppen gehört werden könnten und entwarf eine Vision, bei der der entscheidende Stadtrat von zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern aller Coleur beraten wird.
Das Besondere am Abend: Diskutiert wurden die Themen der Teilnehmenden in kleinen Gruppen mit dem Ziel, daraus Bilder zu entwickeln. Visionen der Stadt tatsächlich zu zeichnen, statt sie „nur“ zu diskutieren, führt zu anderen Ergebnissen und Erkenntnissen, betonte Norbert Rost. Dies wurde von den Teilnehmenden am Ende des Abends bestätigt: hervorgehoben wurde, dass durch die „Übersetzung“ in ein Bild den Gruppenteilnehmern nochmals genauer klar wurde, welches Zukunftsbild sie eigentlich teilen, und dass sie gefordert waren, ihre Vorstellungen präzise in Bilder zu fassen.
Die Ergebnisse der Zukunftsspinnerei sollen nun zu einem umfassenderen Zukunftsbild weiterverarbeitet werden, aber auch in andere Zukunftsprozesse in Görlitz eingespeist werden, z.B. in das im Herbst anlaufende TRUST-Projekt.
Eine zweite Zukunftsspinnerei am 28. Juli soll weitere Zukunftsbilder produzieren. Interessierte sind herzlich eingeladen:
https://zukunftsstadt.de/event/zukunftsspinnerei-goerlitz
Fotos: ©privat, Nicole Herzog