Überraschung vor wenigen Tagen bei Facebook: Tim Locke, Urenkel von Martin Ephraim, hat sich zur Villa Ephraim gemeldet. Eine Story über unsere Beherbergungsvilla als Drehort für die Krimireihe “Wolfsland” war ihm aufgefallen.
Tim Locke lebt in England. Und wenn sich schon hoher Besuch meldet, warum nicht ein bisschen plaudern? Schließlich hat Martin Ephraim in Görlitz an vielen Stellen gewirkt und spielt für uns eine besondere Rolle. Gleich zwei markante Häuser, die seine Familie gebaut hat, gehören heute zu KommWohnen. Und auch wenn Tim Locke seinen Uropa nie kennengelernt hat, wird seine Geschichte in der Familie bis heute erzählt.
Sie beginnt mit Martin Ephraims Vater, Lesser Ephraim. Dieser kam 1852 nach Görlitz und gründete hier die Ephraim Eisenhandelsgesellschaft. Und er war es auch, der die Jakobstraße 5 errichten ließ, das heutige Haus mit dem Goldenen Tor.
©Repro aus der Festschrift anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Ephraim Eisenhandelsgesellschaft von 1927
Sein Unternehmen florierte, die große Lagerhalle steht bis heute am Schützenhaus (und ist Sitz eines Recyclingunternehmens). Dort wurden unter anderem Eisenbahnschienen für die Strecke nach Berlin hergestellt. Lesser Ephraim starb im Jahr 1900. Sein Grab ist bis heute auf dem Jüdischen Friedhof in Görlitz zu sehen.
An bekannten Bauten beteiligt
Martin Ephraim wurde 1860 in Görlitz geboren und stieg 1883 ins väterliche Geschäft ein. Im Alter von 31 Jahren übernahm er es dann. Eisenkonstruktionen der Firma finden sich zum Beispiel bei Stadthalle, Kaufhaus, Dom Kultury. Er wohnte mit seiner Familie in der Jakobstraße 5, bis er 1905 die Villa an der Goethestraße bauen ließ – die noch heute mit ihrem Namen Villa Ephraim an ihn erinnert und seit 2010 zu KommWohnen gehört. Architekt war Hugo Behr, der auch die Ruhmeshalle in Zgorzelec entwarf. Damals sei die Villa das erste Jugendstilhaus in Görlitz gewesen, lobt Tim Locke auf seiner Homepage. Seine Oma Vera Ephraim war eines der vier Kinder der Familie, die hier groß geworden sind.
Zweimal schon war Tim Locke in Görlitz. “Bei unserem Besuch 2014 wurde an der Zittauer Straße der Stolperstein für Martin Ephraim verlegt.” Damals trafen sich mehrere Familienmitglieder in Görlitz und besuchten natürlich auch die Villa Ephraim. “Das Haus ist innen wundervoll unverändert. Ich war sehr angenehm überrascht”, erinnert sich Tim Locke schon aus seinem ersten Besuch 2001. “Es ist wirklich eine Überraschung, bis heute Martin Ephraims Initialen ME in der Scheibe einer Tür zu sehen – in einem Haus, wo der Stadtkommandant der deutschen Armee 1945 für mehrere Wochen stationiert war und das die Russen später übernommen haben.” Und ob die drei Frauen in den Buntglasfenstern an der Treppe eine Hommage an die drei Töchter von Martin Ephraim sein könnten?
Foto: ©Paul Glaser – www.paulglaser.de
Martin Ephraim hat Görlitz finanziell an vielen Stellen Gutes getan. So war er unter anderem am Bau der Synagoge und des heutigen Dom Kultury in Zgorzelec beteiligt. Er bereitete die Schlesischen Musikfeste mit vor und half bei der Finanzierung der Industrie- und Gewerbeausstellung 1905. Er war damals einer der größten Mäzene der Stadt. Eine Straße in Weinhübel trägt seit rund 30 Jahren seinen Namen. Tim Locke erinnert sich, dass es für seine Mutter nie eine Rolle spielte, dass die Familie in den frühen 1900er Jahren viel Geld hatte. “Prahlerei fand sie immer abscheulich. Sie hat sich von dem Reichtum distanziert. Ihre Einstellung war eher, dass das Geld eben weg ist. Und dass es eben nur Geld war.”
Denn der Reichtum fand ein jähes Ende. 1920 zog die Familie nach Schreiberhau im Riesengebirge. Legendär ist der Umstand geworden, dass Martin Ephraim die Villa während der Weltwirtschaftskrise für den Wert eines Körbchens Kirschen verkaufen musste. “Ich erinnere mich aus meiner Kindheit an Erzählungen meiner Großtante Marianne, wie sie in Erinnerungen an diesen Ort namens Görlitz schwelgte”, sagt Tim Locke. Das Haus Jakobstraße 5 wurde seiner Erinnerung nach schon beim Auszug der Familie verkauft, als die Villa fertig war.
©Fotos: Familienarchiv Ephraim, Tim Locke
Als Jude wurde Martin Ephraim in der NS-Zeit mehrfach verhaftet. 1944 starb er im Konzentrationslager Theresienstadt. Er gab Tim Lockes Mutter ein Foto von sich, unterschrieben mit “ein Souvenir von deinem Opa”, kurz bevor sie mit dem Kindertransport nach England emigrierte. Sie haben sich nie wieder gesehen.
Lust auf mehr aus dem Leben der Ephraims? Tim Locke schreibt einen Blog auf Englisch dazu.