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Sie haben ja schon viel miteinander erlebt, aber das war neu: Am Tag X zur selben Zeit auf dem Balkon stehen und für die KommWohnen-Fotografen in die Kamera winken. Doch die Mieter der Wielandstraße 12 machen diesen Spaß gern mit, stimmen sich sogar untereinander ab, welche Uhrzeit günstig wäre. Kein Problem, man kennt sich hier. Fünf der zehn Mietparteien im Haus wohnen seit mehr als 50 Jahren hier zusammen. „Es gab nie lange Streit. Wir kommen hier einfach gut miteinander aus“, sagt Ingrid Kießling aus dem ersten Stock. Barbara Nicke aus dem vierten Stock lächelt: „Für einen Plausch im Treppenhaus hatten wir fast immer Zeit.“
Im Dezember 1970 sind alle Familien binnen weniger Wochen ins Haus gezogen. Ganz neu war das damals, ein Lückenschluss zwischen Wieland- und Carl-von-Ossietzky-Straße. Auch die Häuser Wielandstraße 13 a-c haben diese Geschichte. Aber dort sind nicht so viele Familien eine so lange Zeit lang Nachbarn wie in der 12.
Die Männer der Familien haben alle mit ihren eigenen Händen am Haus mitgebaut. Fast alle waren damals beim VEB Bau Görlitz beschäftigt. Ganze 450 Arbeitsstunden mussten sie leisten, um an eine solche Wohnung zu kommen. Hans-Jürgen Pruschwitz aus dem dritten Stock hat das kleine Heft mit den aufgelisteten Arbeiten bis heute aufgehoben. Drei Stunden fürs Gerüst Stellen, vier Stunden fürs Decke Streichen und so weiter. „Hier eine Wohnung zu bekommen, war wie ein Sechser im Lotto!“, sagt er. „Da war es egal, dass es noch eine Ofenheizung gab.“ Eine Toilette direkt in der Wohnung und nicht mehr auf der halben Treppe, welch Luxus! Und plötzlich viel Platz! Die meisten jungen Paare kamen aus dem Haushalt der Eltern oder Schwiegereltern, andere vom Dorf mit dem schon lange gehegten Wunsch, in die Stadt ziehen zu können.
Eine ausgezeichnete Hausgemeinschaft
Zehn Familien mit insgesamt 30 Kindern – so sind sie damals eingezogen. Alle waren jung, in ihren Zwanzigern, teils schwanger, teils mit sehr kleinen Babys. Aber alle euphorisch und glücklich, eine solche Wohnung zu haben. Da war es kein Problem, dass alle Männer mindestens zehn weitere Jahre beim VEB Bau arbeiten mussten, um in diesen Betriebswohnungen bleiben zu dürfen.
Im Gegenteil: Die jungen Paare machten es sich gleich schick. 1974 gab es eine Urkunde für die „Vorbildliche Hausgemeinschaft“. Hans-Jürgen Pruschwitz hat sie bis heute, eine Zeitlang hing sie im Hausflur. Die Fußwege waren immer gekehrt, das Unkraut gezupft. Und an die Fete, die es anlässlich dessen in der Stadthalle gab, erinnern sich alle bis heute. Hans-Jürgen Pruschwitz war ein bisschen… sagen wir mal… durstig an jenem Abend. „Wir haben dich rechts und links gestützt auf dem Weg nach Hause“, erzählt Peter Hiller aus dem Erdgeschoss fröhlich, und alle lachen. Diese sozialistische Auszeichnung für die vorbildliche Hausgemeinschaft bekamen sie häufiger. Das Geld davon haben sie nicht immer aufgeteilt, sondern lieber gemeinsam gefeiert.
Im Haus entstand auch eine Liebe
Ja, abendliche Treffen und Feten gab es mehrfach. Mal im Waschhaus, mal ein Grillen im Hof, mal ein gemeinsames Bierchen im Keller. Die Familien haben es immer genossen, sich im Haus so gut zu verstehen. Auch die Kinder fanden es gut. Einige gingen in dieselbe Klasse, und alle haben am Nachmittag oft zusammen gespielt. „Ich habe dauernd Nudeln gekocht, Nudeln ohne Ende“, sagt Barbara Nicke.
Zwei Kinder aus dem Haus haben sich später als Erwachsene sogar verliebt. Bei einem Klassentreffen lange nach dem Schulabschluss haben sie sich wiedergesehen, und da ist es passiert. Heute leben sie gemeinsam in München.
Inzwischen sind alle der langjährigen Nachbarn Mitte 70, 80 Jahre alt. Frühere Mitbewohner, die auch 1970 hergekommen sind, zogen bereits aus. Weil die Treppen zu anstrengend wurden, zum Beispiel. Ein Mann ist neulich verstorben, ein anderer zieht derzeit ins Pflegeheim. Alle im Haus sind gemeinsam alt geworden. Familie Pruschwitz möchte zwei Etagen tiefer wohnen, zieht demnächst um. Aber es war klar, dass sie im Haus bleiben wollen. Bloß nicht wegziehen. Solange es geht, wollen alle bleiben, auch nach mehr als 50 Jahren im selben Haus? Großes Nicken in der Runde. Klaus Nicke zwinkert: „Wer weiß? Vielleicht wird ja eines Tages sogar ein Fahrstuhl an unserem Haus angebaut..?“