
Die Goldene Hochzeit haben Klaus und Barbara Nicke längst hinter sich. Und doch ist der Dezember immer ein besonderer Monat. Nicht nur, weil sie im Dezember 1968 geheiratet haben. Auch weil sie seit Dezember 1970 in der Wielandstraße wohnen. Überglücklich sind sie damals mit ihren beiden Töchtern dort eingezogen. Endlich ein eigenes Bad, endlich mehr Platz. Eine Geschichte, wie viele Familien aus DDR-Zeiten sie kennen. Und doch ist die Wielandstraße 12 ein besonderes Haus. Viele Familien wohnen dort seit jenem Dezember 1970, auch wenn es aus Altersgründen zunehmend Umzüge gibt.
Und Familie Nicke hat eine doppelt besondere Beziehung zum Wohnen in genau diesem Haus. Nicht nur, dass es schon mehr als 50 Jahre sind. Ihre jüngere Tochter hat sich auch in den Sohn einer anderen Familie aus dem Haus verliebt. Heute leben die beiden gemeinsam in München und sind auch schon seit Jahrzehnten verheiratet. Ihre andere Tochter ist in der Heimat geblieben und arbeitet in Görlitz. Sehr zur Freude der Großeltern, die das Aufwachsen der Enkel nah miterleben konnten. Heute sind die beiden Jungs in Dresden und Münster und gehen längst eigene berufliche Wege. Einer ist Bankkkaufmann, der andere macht demnächst seinen Doktor in Medizintechnik. „Wir sind sehr stolz.“
Es war der 16. April 1967
Klaus Nicke stammt ursprünglich aus Lauske bei Weißenberg und kam im Alter von elf Jahren nach Görlitz. Barbara Nicke ist gebürtige Görlitzerin. Wann sich die beiden kennengelernt haben, wissen sie noch auf den Tag genau: am 16. April 1967. Beim Tanz im Haus der Jugend. „Wir sind damals immer Runden gegangen. Zwei Linden, Konzerthaus, Haus der Jugend, beim Maschinenbau.“ Der Sonnabendabend gehörte meist den Linden, der Sonntag den anderen Lokalen. „Wir kannten uns nur vom Sehen“, erzählt Barbara Nicke. „Ich habe in der Innenstadt gewohnt, er in Weinhübel.“ Doch an jenem schicksalsträchtigen Abend hat sie ihr Geld im Tanzlokal vergessen und konnte die Straßenbahn nach Hause nicht bezahlen. Kurzentschlossen half er aus und fuhr mit. Seither gingen sie nie wieder getrennte Wege.
Klaus Nicke hat sogar einmal für KommWohnen gearbeitet. Das Unternehmen hieß damals noch KWV. Vom VEB Bau kommend, hat er von 1985 bis kurz nach der Wende die Malerabteilung geführt, bis sie aufgelöst wurde. Danach war er bei einer kleinen Malerfirma angestellt, wie sich viele nach der Wende gründeten. Beruflich richtig interessant wurde es aber danach: Klaus Nicke arbeitete in der Görlitzer Justizvollzugsanstalt. „Nicht als Wärter!“ Er lacht. Sondern als Ausbilder für die Inhaftierten, die Maler werden wollten oder sollten. Lehrlinge hatte er schon zu DDR-Zeiten regelmäßig. Jetzt aber Umgang mit den schweren Jungs. „Ich hatte nie Probleme. Das lief gut und hat Spaß gemacht.“ Bis er wieder Pech hatte und sein Arbeitsfeld abgeschafft wurde. Die Ausbildung Inhaftierter in Bautzen fortzuführen, war ihm damals zu aufwendig.
Wicklerin und Verkäuferin
Das berufliche Leben von Barbara Nicke war vergleichsweise konstant. Genau 20 Jahre lang hat sie im Görlitzer Kondensatorenwerk als Wicklerin gearbeitet. Als eine von 50 jungen Leuten hat sie damals bei RFT angefangen. Eine gute Zeit, sagt sie. Die Kinder im RFT-Betriebskindergarten, die Familie war zufrieden. Die Schließung des Werks nach der Wende bekam sie nicht mehr mit. 1983 begann sie als Verkäuferin, wieder für fast 20 Jahre. An die Jahre danach mit ABM-Stellen unter anderem bei Sapos erinnert sie sich gern. „Ich war dort unter anderem in der Schneiderstube, da ging richtig die Post ab. Das hat Spaß gemacht.“ Kleidung hat sie schon früher für die Kinder genäht.
Seit 15 Jahren sind die beiden nun schon im Ruhestand. Wobei man das kaum so nennen kann. Sie sind begeisterte Radfahrer, das ganze Jahr über. Meist um den Berzdorfer See, auch mal ein Stück auf dem Oder-Neiße-Radweg, aber immer in der Region. Das E-Bike von Klaus Nicke hat schon mehr als 15.000 Kilometer auf dem Tacho. Im Kleingartenverein Pflaumenallee Ost in Weinhübel haben sie seit mehr als 20 Jahren einen Garten mit Laube, über 1.000 Quadratmeter groß. Entsprechend viel gibt es dort zu tun. Den Sommer verbringt das Paar meist dort. Und dort haben sie mit Familie und Freunden auch den 75. Geburtstag von Barbara Nicke groß gefeiert. Bezahlt aus ihrer Rommé-Kasse. Jeden Tag spielen die beiden Karten, mit Geldeinsatz. Zu besonderen Anlässen wird die Kasse dann geplündert. Und manchmal gibt es zum Spiel einen selbst hergestellten Schnaps. Aus Doppelkorn und Kapuzinerkresse aus dem eigenen Garten. „Wir schwören darauf“, sagt Klaus Nicke. „Das wirkt antibiotisch. Wir kommen damit seit Jahren gesundheitlich super über den Winter.“
Drechseln mit den Enkeln
Nur im Keller ist Klaus Nicke nicht mehr so oft wie früher. Mehrere Mieter aus dem Haus hatten sich dort früher einen Hobbykeller eingerichtet. Holzbearbeitung für den einen, Modelleisenbahn für den anderen. Klaus Nicke hat jahrelang Gipsarbeiten gemacht als auch Gedrechseltes. Seine Enkelkinder waren oft dabei und haben viel Handwerkszeug vom Opa gelernt. Heute ist Ruhe im Keller, die einen fühlen sich zu alt dafür, die anderen sind nur noch selten in Görlitz. Zur Weihnachtszeit steht die Nicke’sche Wohnung trotzdem noch immer voller selbstgemachter Dekoration, Pyramiden, Schwibbögen. Schließlich ist der Dezember der „besonderste“ Monat. (jay)