
In Sachsen fehlen rund 1.400 Lehrer, ca. 300 mehr als im Vorjahr. An Förder- und Oberschulen fällt dadurch fast jede zehnte Stunde aus. Planmäßig. Das Problem ist bekannt, schnelle Änderung nicht in Sicht. Aber es gibt Ansätze. In unserer Villa Ephraim übernachten derzeit einmal pro Woche nämlich besondere Gäste. Es sind Studentinnen und Studenten der TU Dresden. Angehende Lehrkräfte, die im Rahmen ihres Studiums in der Oberschule Innenstadt praktische Erfahrungen sammeln. Und die andererseits den Unterricht bereichern.
Initiiert wurde das Projekt von der Technischen Universität Dresden und dem Landeselternrat in Zusammenarbeit mit den Kommunen. Den Start gab es im Frühjahr 2024 mit 13 Studierenden. Nun in Phase 2 beteiligen sich schon 45 angehende Lehrerinnen und Lehrer an vier Oberschulen in Görlitz, Zittau, Neusalza-Spremberg und Löbau teil. Seit Herbst sind sie im Einsatz.
Alle Seiten ziehen an einem Strang
Die Fäden laufen bei Anke Langner zusammen, die u.a. Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Inklusive Bildung (EWIB) an der TU Dresden ist sowie Initiatorin der Universitätsschule Dresden. „Ich bin sehr zufrieden. Die Studierenden werden an der TU Dresden und an den Schulen gut begleitet“, sagt sie. „Auch das Engagement der Partner vor Ort lohnt sich nicht nur für die zukünftigen Lehrkräfte, sondern für die Schülerinnen und Schüler. Und das ist das Wichtigste.“
Zwölf Studierende kommen immer freitags für einen Tag an die Oberschule Innenstadt in Görlitz. Sie arbeiten jeweils zu viert als Team mit den Schülern. Es kommen innovative Lehr-Lernmethoden zum Einsatz, die an der Universitätsschule bereits erfolgreich eingesetzt werden, heißt es. Gelehrte Theorie wird so mit praktischer Erfahrung abgeglichen. „Ich bin selbst immer wieder mit vor Ort und begleite die Studierenden in dem Prozess“, sagt Projektleiterin Anke Langner. „Was ich dabei sehe, sind junge engagierte Leute, die gern in der Görlitzer Schule sind und mit viel Freude neue Methoden gemeinsam mit den Kindern erproben.“ Dass die Teilnehmer nun wüssten, warum sie dieses Studium machen, sei ein oft gehörter Satz. „Und dass sie sich nach dem Studium vorstellen können, an eine Oberschule zu gehen, auch wenn sie auf Lehramt oder Grundschule studieren. Sie wünschen sich auf jeden Fall, dass es diese Möglichkeit weiter gibt, früh und kontinuierlich in der Praxis Erfahrung zu sammeln.“
Angekommen in Zeiten des Mangels
An der Görlitzer Oberschule fallen rund 14 Prozent des Stundenvolumens aus, sagt Schulleiter Thomas Warkus. Er war vor kurzem in einem Podcast von Sächsische.de zu Gast und berichtete über seine Schule. „Wir sind in Zeiten des Mangels angekommen.“ Zudem fehle die Generation der 35- bis 50-Jährigen im Lehrerkollegium. Dadurch sei bald wieder eine Verrentungswelle zu erwarten, wie schon vor ein paar Jahren.
Und natürlich gibt es schon jetzt absolut zu wenige Lehrer. „Stundenplanung ist immer eine Herausforderung, weil man ja schon mit einem Mangel beginnt.“ Es gehe dabei auch nicht mehr nur um ein Fach, sondern um mehrere. „Während sich jüngere Schüler über Ausfall noch freuen, sind die Abschlussklassen darüber nicht mehr so glücklich.“ Natürlich sehen es auch Eltern kritisch, wissen sie doch um die Grundlagenbildung in Klasse 5, 6, 7. „Da entwickelt sich eine Bildungsungerechtigkeit“, sagt Thomas Warkus. „Wir müssen aufpassen, dass sich das Gefühl nicht verstärkt, man sei im ländlichen Raum abgehängt.“
Umso mehr freut er sich über den Einsatz der Dresdner Studenten. Sie sollen keinen Unterricht ersetzen, sondern Gelerntes anwenden, praktisch mit Ideenfindung, Unterrichtsvorbereitung, Vermittlung konfrontiert sein. „Die Schüler freuen sich auf die jungen Leute. Und wir hoffen, einen Klebeeffekt zu erzielen.“ Für die Studierenden beginne der Prozess, sich als Lehrer zu fühlen. Sie lernen die Region, die Schulen und ihre Ausstattung kennen. Und natürlich die Schüler mit all ihren Besonderheiten. „Heutzutage lernen Kinder mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen gemeinsam in den Klassen. Das ist gut für die Gesellschaft, aber Schule muss dadurch viel leisten.“ Das werde in der Lehrerausbildung zwar vermittelt, aber die Studierenden müssten es auch erleben.
OB: Projekt ist ein doppelter Gewinn
Über eine solche Möglichkeit im Kampf gegen den Lehrermangel freut sich auch die Stadtspitze. „Das Projekt ist nicht nur ein Gewinn im Sinne der Theorie-Praxis-Verzahnung für die Studierenden, sondern auch für die Schule und unsere Stadt“, sagte Oberbürgermeister Octavian Ursu zu Beginn des Projekts im Herbst. „Wir benötigen Lehrernachwuchs und können so bei den angehenden Lehrerinnen und Lehrern für unsere lebens- und liebenswerte Europastadt Görlitz/Zgorzelec werben.“
Zukunft ist derzeit in Klärung
Ob und wie das Projekt weitergeführt wird, ist derzeit in Klärung. Viele reden mit, Kultusministerium (neuer Minister), Wissenschaftsministerium, Landesschulamt, Kommunen etc. Die noch nicht abgeschlossene Regierungsbildung in Sachsen erschwert die Planung zusätzlich. Aber die positiven Rückmeldungen von den Studierenden und aus den Schulen senden ein hoffnungsvolles Signal.
Und natürlich wünscht sich auch Prof. Anke Langner eine Fortführung im kommenden Schuljahr: „Die Kinder und Jugendlichen auch in den ländlichen Regionen sollen ebenso gerecht behandelt werden, wenn es um ihre Bildungschancen und damit Zukunftschancen geht. Im Idealfall entscheiden sich die angehenden Lehrkräfte natürlich für ein weiteres Praktikum und vielleicht auch das Referendariat in einer kleineren Stadt, um dann zu bleiben? Die Entscheidung über eine weitere Finanzierung des Pilotprojekts liegt jedoch in der Hand der politischen Entscheider.“
Fotos: Rafael Sampedro (2), KommWohnen