Die wilden Zeiten, in denen wir mit Corona, Energiekrise und Ukraine-Krieg leben, haben auch Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt in Deutschland. Um eine Bestandsaufnahme zu machen und Wege für die Zukunft zu finden, fand neulich ein Online-Workshop mit Vertretern aus ganz Deutschland statt. Eingeladen hatte das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) aus Darmstadt. In der Runde waren Vertreter der Bundesverwaltung, von Ministerien und mehreren Instituten, die diesen zuarbeiten. Praktiker wie Wohnungsunternehmen waren eher rar. KommWohnen hat sich beteiligt. Für Interessierte fassen wir die Ergebnisse des mehrstündigen Seminars in einer kleinen Artikelserie zusammen.
Teil 2/3: Wie hat Corona das Wohnen verändert?
Die Corona-Pandemie hat neben der Gesundheit auch aufs Wohnen Einfluss genommen. Zum einen ist die Fertigstellung von Wohnungen 2021 dramatisch eingebrochen im Vergleich zu 2020. Zum anderen war Corona nicht nur eine Gesundheitskrise, sondern brachte die Menschen durch die Lockdowns auch dazu, sich mit ihrer Wohnsituation auseinanderzusetzen. Das ist auch in Görlitz deutlich zu merken. Die KommWohnen-Kundenbetreuerinnen und -betreuer registrieren ein stärkeres Gewicht von Balkonen und Mietergärten bei den Wohnungsanfragen.
Von einer anderen Seite betrachtet Jean-Victor Alipour das Ganze, der sich für die Münchner Universität LMU und das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung mit Covid und Homeoffice beschäftigt. Er hat beobachtet, dass die Arbeitsplatzmobilität in den Lockdowns um 40% eingebrochen ist. Die Menschen sind viel weniger zur Arbeit gefahren, klar. Aber das Arbeitsvolumen ist natürlich nicht im selben Maße eingebrochen. Das heißt, Homeoffice hat in dieser Zeit extrem zugenommen. Denn auch nun, drei Jahre nach dem ersten Lockdown, liegt die Mobilität noch immer 20% unter dem Niveau von 2019, also vor Corona. “Bei Jobangeboten gibt es heute drei bis vier Mal so viele mit Homeoffice-Möglichkeit als früher”, sagt Jean-Victor Alipour. “Das betrifft fast 20% aller Online-Stellenanzeigen.” Etwa ein Viertel aller Beschäftigten arbeitet mindestens teilweise in Homeoffice, ergab eine Firmen-Umfrage vom ifo-Institut. “Vor allem in Großstädten sind Homeoffice-Jobs sehr stark konzentriert.”
Mehr fahren, Geld sparen
Und das hat bereits Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Bis 2019 war es laut Alipours Studien so, dass eine zehn Minuten längere Fahrzeit zum Zentrum eine um zwölf Prozent niedrigere Miete zur Folge hatte. Beim Kaufpreis von Wohnungen und Häusern waren es sogar 18 Prozent weniger. Also je näher am Zentrum, desto teurer ist das Wohnen. Das ist zwar auch heute nach Corona noch so, aber die Abstände der Preise haben sich verringert. Nun spart man nur noch neun Prozent bei der Miete und 14 Prozent beim Kauf, wenn man etwas Fahrzeit auf sich nimmt. “Die Zentrumsprämie hat sich um 25 Prozent abgeflacht”, sagt Jean-Victor Alipour. Oder anders: Es ist vergleichsweise günstiger geworden, im Zentrum zu wohnen.
Oder nochmal anders: Je mehr Menschen homeofficefähige Jobs haben, desto weniger Pendelbedarf gibt es und desto unattraktiver werden zentrumsnahe Wohnanlagen. Auch wenn das Pendeln natürlich nicht der einzige Grund für die Wohnortwahl ist. Nach Alipours Forschungen wirkt sich Homeoffice zu 10-20 Prozent auf die Preise in Zentrumsnähe aus, also nicht gravierend. Aber: “Homeoffice ist ein dauerhafter Trend.” Und: Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen bereits Wanderbewegungen von Städten weg hin zu Regionen mit “Verstädterungsansätzen”, wie es heißt.
Mehr Quadratmeter pro Kopf
Doch noch bleiben die günstigeren Miet- und Kaufpreise außerhalb der Zentren, selbst wenn der Abstand geringer geworden ist. Das heißt, der Flächenbedarf pro Kopf könnte weiter steigen, wenn sich Beschäftigte zu Hause ein weiteres Zimmer als Büro einrichten möchten. In der Peripherie können sich viele das eher leisten als im Zentrum.
Das kommt einer Entwicklung nahe, die KommWohnen-Geschäftsführer Arne Myckert schon seit einiger Zeit anspricht (zum Beispiel im Jahresfazit-Interview von 2021): Menschen müssen nicht mehr am selben Ort wohnen und arbeiten, seitdem sich Homeoffice immer mehr verbreitet. “Vor allem in den Ballungsräumen, wo qualitativer Wohnraum furchtbar knapp ist, könnten sich viele überlegen, vielleicht weiter weg zu ziehen.” Warum nicht in Berlin arbeiten und in Görlitz wohnen? “In den drei Stunden Zugfahrt kann ich mir den Laptop aufklappen und schon etwas erledigen.”
Grafik oben: ©ifo-Institute/Alipour
Hier geht es zu Teil 1 der Serie: Wie wohnen wir derzeit?
Und hier weiterlesen bei Teil 3: Wie werden wir künftig wohnen?