
Die wilden Zeiten, in denen wir mit Corona, Energiekrise und Ukraine-Krieg leben, haben auch Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt in Deutschland. Um eine Bestandsaufnahme zu machen und Wege für die Zukunft zu finden, fand neulich ein Online-Workshop mit Vertretern aus ganz Deutschland statt. Eingeladen hatte das Institut Wohnen und Umwelt (IWU) aus Darmstadt. In der Runde waren Vertreter der Bundesverwaltung, von Ministerien und mehreren Instituten, die diesen zuarbeiten. Praktiker wie Wohnungsunternehmen waren eher rar. KommWohnen hat sich beteiligt. Für Interessierte fassen wir die Ergebnisse des mehrstündigen Seminars in einer kleinen Artikelserie zusammen.
Teil 3/3: Wie werden wir wohnen?
Wie stellen sich Menschen, die sich beruflich mit dem Wohnungsmarkt beschäftigen, das Wohnen im Jahr 2025 vor? Wie die Teilnehmer des Online-Workshops geantwortet haben, zeigt die Grafik oben. Ein eher pessimistischer Eindruck. Wird es wirklich so schlimm?
Laut einer Trendanalyse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bleibt der Bedarf an Wohnfläche pro Kopf in Deutschland auch künftig hoch. Da viele im freistehenden Einfamilienhaus wohnen wollen, wird dieser Wunsch im Zusammenklang mit unserer wachsenden Bevölkerung möglicherweise ein Problem. Denn der Platz in den Städten – die laut anderen Studien im Vergleich zum Land seit Jahren an Beliebtheit zulegen – ist endlich. Allein die Zuwanderung durch den Ukraine-Krieg ist deutlich höher als in der Flüchtlingskrise vor acht Jahren. Prognosen sprechen von 1,27 Millionen Menschen allein in diesem Jahr.
Zudem werden viele Ressourcen (Bauland, Baumaterial, Energieversorgung) für das Wohnen von vergleichsweise wenigen Menschen verbraucht. Denn wer im selbstgenutzten Wohneigentum lebt, wohnt in Quadratmetern gemessen häufig großzügiger als Menschen in Mietwohnungen. Und dessen sogenannter ökologischer Fußabdruck ist also größer. In Zahlen: 2018 lebten “klassische” Familienhaushalte – vier Personen, Erwachsene zwischen 45 und 60 Jahren – zu 75% im selbstgenutzten Wohneigentum.
Wohnkostendämpfung contra Extrazimmer
Im Online-Workshop des IWU diskutierten die Experten darüber, wie sich die Wohnfläche pro Kopf künftig entwickeln wird. Einige mutmaßen, dass Deutschland eher ein Einheiten- als ein Flächenproblem hat. Zu viele Menschen würden noch in zu großen Wohnungen wohnen. Und das könnte sich künftig ändern. Durch die Preisentwicklungen werde vom Haushaltsnettoeinkommen künftig weniger übrig sein als jetzt. Das Wohnen als eine relevante monatliche Ausgabe könnte auf den Prüfstein gestellt werden. Will man nicht in die Peripherie wechseln, müsse man sich wohnlich verkleinern. In Berlin beispielsweise sei dieser Trend schon zu erkennen.
Die andere Seite der Experten vermutet das Gegenteil. Weil Homeoffice ein dauerhafter Trend ist und vor allem von Menschen mit gut bezahlten Jobs genutzt wird, werden sich eher mehr ein Extrazimmer als Büro gönnen. Was zu einem gesteigerten Flächenverbrauch pro Kopf führt. Einig sind sich beide Seiten immerhin darin, dass die Peripherie der Städte interessanter wird. Daran hat auch Corona einen Anteil.
Auch die Trendanalyse des Bundesinstituts BBSR sieht eher einen wachsenden Flächenbedarf pro Kopf. Vor allem bei Menschen in der Altersklasse ab 75 Jahren, die häufig allein wohnen. Statistisch liegen sie derzeit schon bei 100qm. Fürs Jahr 2040 sind sogar 111qm prognostiziert. “Je kleiner ein Haushalt ist, desto größer ist seine durchschnittliche Wohnflächeninanspruchnahme”, heißt es in der Studie.
In Zahlen: Einpersonenhaushalte im selbstgenutzten Wohneigentum könnten dann auf 95qm pro Kopf wohnen, bei Vier- und Mehrpersonenhaushalten würden es 40qm pro Kopf. Bei Mieterhaushalten sehen die Studienautoren kleinere Wohnflächen, aber auch da einen Anstieg pro Kopf bis 2040. “Es ist zu erwarten, dass über 75-jährige Mieterinnen und Mieter in Einpersonenhaushalten durchschnittlich 68qm in Anspruch nehmen, während Eigentümerinnen und Eigentümer im Mittel 109,6qm nutzen.”
Haushalte werden kleiner und mehr
Befragungsergebnisse des BBSR zeigen nun Folgendes:
- Die Bautätigkeit im Einfamilienhaus geht langsam zurück.
- Wohneigentum wird vor allem in gebrauchten Immobilien gebildet (79%, Neubau: 21%. Zum Vergleich 1994: Gebraucht: 49%, Neubau: 51%).
- Einfamilienhäuser sind vor allem bei Familien beliebt. Denn Familien finden auf dem Mietwohnungsmarkt kaum passende Angebote, die auch bezahlbar sind.
- Die steigende Wohnflächennachfrage wird durch die Zunahme kleinerer Haushalte bestimmt.
- Altersgerechte Wohnangebote sind ein Lösungsansatz, um die Umzugsmobilität älterer Haushalte stärker zu fördern (Quelle: BBSR-Analysen Kompakt 14/2022)
Die Abkehr vom Neubau erklären die Autoren der Studie mit Finanzierbarkeit, Kaufangeboten und Lage der bereits existierenden Immobilien. Die Nachhaltigkeit freut’s: Es werden weniger Ressourcen und Material verbraucht und weniger Flächen versiegelt.
Barrierearme Wohnungen bleiben eine Aufgabe
Aufgrund der Überalterung der Bevölkerung wird künftig die Nachfrage nach seniorengerechten und barrierearmen Wohnungen steigen. Auch kleinere Wohnungen werden beliebt sein aufgrund der wachsenden Zahl kleiner Haushalte. Zugleich werden Familien weiterhin nach großen bezahlbaren Wohnungen suchen.
Ein Grund für den steigenden Wohnflächenverbrauch pro Kopf ist der Mangel an seniorengerechten Wohnungen. Erfahrungsgemäß geben Eltern die große Wohnung nicht auf, wenn die Kinder ausgezogen sind. Die Haushaltsgröße sinkt, die Wohnfläche pro Kopf steigt. Erst, wenn es gar nicht mehr anders geht (z.B. Pflegeheim), kommt der Umzug.
Gäbe es Alternativen zum Wohnen im Alter, sähe das Bild vielleicht anders aus. Ein Umzug ist für alte Menschen nicht nur wegen der Verwurzelung im Wohnumfeld schwierig, sondern auch wegen des Aufwands und der Kosten. Oft ist die neue kleinere Wohnung teurer als die angestammte. “Verschiedene Modelle zum Wohnungstausch oder zu Wohnungsbörsen wurden in den letzten Jahren ausprobiert. Bisherige Strategien und Modellvorhaben zeigen allerdings wenig Wirkung”, heißt es in der BBSR-Analyse. Beim barrierearmen Wohnen bestehe also weiterhin dringender Handlungsbedarf.
Hier geht es zu den anderen Teilen dieser kleinen Serie:
Teil 1: Wie wohnen wir derzeit?
Teil 2: Wie hat Corona das Wohnen verändert?